Der jüdische Friedhof
Der jüdische Friedhof Michelbach an der Lücke
In alten Zeiten war es ein weiter Weg bis nach Schopfloch
Der jüdische Friedhof in Schopfloch, heute Kreis Ansbach, Mittelfranken, existiert mindestens seit dem 16. Jahrhundert. Er wird auch als Verbandsfriedhof bezeichnet, weil er einen weiten Einzugsbereich mehrerer jüdischer Gemeinden hatte. Man kann davon ausgehen, dass auch die Juden aus Michelbach, Hengstfeld und Wiesenbach bereits seit ihrer dortigen Ansiedlung im 16. Jahrhundert nach Schopfloch bestatteten. Der jeweils früheste schriftliche Beleg einer Bestattung nach Schopfloch
- von Michelbach aus ist vom 21.5.1684 („Ein Kind des Mayer in Michelbach an der Lücke“),
- von Hengstfeld aus vom 16.7.1693 („Ein Kind des Löw in Hengstfeld“),
- von Wiesenbach aus vom 15.11.1699 („Ein Kind des Hirsch in Wiesenbach“).
Diese Belege finden sich in den (unvollständig erhaltenen) Begräbnislisten des jüdischen Friedhofs Schopfloch im Staatsarchiv Nürnberg. Die ältesten erhaltenen Schopflocher Grabsteine, auf denen sowohl einer der drei Orte als auch das Sterbedatum zu lesen sind, datieren wenige Jahre später.
Von Michelbach nach Schopfloch sind es 21 Kilometer. Jahrhundertelang legten die Michelbacher Juden diese Strecke immer wieder zurück, um ihre Toten beizusetzen. Der lange Weg war je nach Jahreszeit und Witterung sicher beschwerlich, führte durch verschiedene Herrschaftsbereiche und kostete Wege- und Brückenzölle. Dabei prägte der Volksmund den Spruch „Wecha amm doada Juda fäahrd mr nedd nach Schopfi.“ (Wegen einem toten Juden fährt man nicht nach Schopfloch.) Möglicherweise versuchte man, nach dem Tod eines jüdischen Mitbürgers mit der Beerdigung etwas abzuwarten, weil vielleicht bald noch ein zweiter hinzukam. Heute noch ist der Satz in der Region in übertragener Bedeutung zu hören, beispielsweise vom Wirt im Wirtshaus, wenn der Gast nach nur einem Glas Bier schon wieder heimgehen will. Dies, obwohl die Ursache für diesen Satz vor fast 200 Jahren obsolet wurde.
1840 wurde der Michelbacher Friedhof eröffnet
Bereits 1815 kaufte die jüdische Gemeinde Michelbach ein Grundstück am „Gailrother Weeg“, um dort einen Friedhof einzurichten. Dies scheiterte jedoch zu jener Zeit noch an der behördlichen Genehmigung. Doch dann 1840 konnte die jüdische Gemeinde wiederum ein Grundstück für einen Friedhof (im „Gewann Judenwasen“) erwerben, etwa einen Kilometer nordwestlich außerhalb der Ortsbebauung. Am 25.10.1840 fand dort die erste Bestattung statt, das war der 13 Monate alte Michael Jandorf aus Hengstfeld. Am 10.2.1841 starb ebenfalls in Hengstfeld der sechs Jahre alte Israel Wassermann. Sein Grabstein ist der älteste erhaltene Stein auf diesem Friedhof.
Am 13.5.1841 fand die erste Bestattung aus Michelbach zum eigenen Friedhof statt, das war das vier Monate alte Mädchen Grendel Stern. Das Sterberegister dokumentiert von da an für fast alle Michelbacher Sterbefälle die Bestattung auf dem örtlichen Friedhof. Nur in ganz wenigen Fällen unterblieb der konkrete Eintrag des Friedhofs, aber es deutet nichts darauf hin, dass später jemals von einer Bestattung auf dem Michelbacher Friedhof abgewichen worden wäre. Der erste Wiesenbacher, der hier bestattet wurde, war der „Schmußer“ Herz Gotthilf, geboren 1766, gestorben am 27.8.1841.
Das anfangs sehr kleine Grundstück wurde durch Grundstücksankäufe zweimal – 1851 und 1883 – nach Norden hin deutlich erweitert. 1860 fand die erste Bestattung auf dem 1851 angekauften Teil statt, 1890 die erste Bestattung im neuesten Teil. Mit der zweiten Erweiterung wurde auch eine Mauer um den Friedhof errichtet.
Bis 1939, also in einem Zeitraum von genau 100 Jahren, wurden insgesamt 439 Menschen auf dem Friedhof bestattet. Etwa 270 Grabsteine insgesamt sind bis heute erhalten, allerdings mit sehr unterschiedlicher Lesbarkeit der Inschriften. Von den 439 wiederum sind etwa 240 Personen aus dem Ort Michelbach selbst gewesen, von diesen sind etwa 160 Grabsteine erhalten. Für die Differenz zwischen Bestattungen und Steinen gibt es verschiedenste Gründe. Bei weitem nicht jeder, der bestattet wurde, hat wirklich einen Grabstein bekommen, vor allem nicht die vielen Säuglinge und Kinder. Auch bei manchem Erwachsenen gab es möglicherweise nur eine unbeständige Grabkennzeichnung aus Holz. Manche Steine, die heute nicht mehr da sind, wurden mutwillig weggeschafft, andere sind zerstört und befinden sich heute als Fragment am Rand des Grundstücks.
Der Einzugsbereich des Friedhofs
Der örtliche Charakter des Friedhofs änderte sich in den 100 Jahren seiner Nutzung deutlich. Anfangs waren es drei Gemeinden – Michelbach mit den beiden Filialgemeinden Hengstfeld und Wiesenbach – für die der Friedhof zuständig war. Nach kurzer Zeit kam dazu noch Schrozberg. Um 1900 herum aber verschwand die jüdische Besiedlung von Hengstfeld und Schrozberg völlig. Am 7.5.1899 wurde die 55jährige Caroline Lassner als letzte Schrozbergerin in Michelbach beigesetzt. Die letzte Bestattung aus Hengstfeld war am 31.10.1899 die 56jährige Ricka Jandorf, die Mutter von Adolf Jandorf. Am 12.8.1931 starb in Erlangen der in Wiesenbach lebende Albert Neumann; er wurde als letzter Wiesenbacher Jude in Michelbach beigesetzt.
Andererseits war schon lange auch die Landjudenschaft moderner und mobiler geworden. Man verteilte sich; einzelne Juden ließen sich an Orten nieder, wo es keine jüdische Gemeinde gab und es somit nur eine einzige jüdische Familie am Ort gab. Auch für diese Juden wurde der Michelbacher Friedhof die letzte Ruhestätte. Die 16jährige Sophie Gundelfinger aus Kirchberg an der Jagst starb am 16.11.1858 und wurde in Michelbach beigesetzt. Am 18.7.1882 starb das sechs Wochen alte Kind Moritz Jandorf, Sohn von Moses Hayum und Adelheid Jandorf – der einzige Wallhausener Jude, der in Michelbach beigesetzt wurde. Am 29.12.1898 wurde Gietel Stern beigesetzt, die in Wiesenbach geboren war und 1877 nach Blaufelden umgezogen war.
Am Ende der aktiven Nutzung, in den 1930er Jahren, war der Michelbacher Friedhof nur noch allein für die Michelbacher Juden da. Als Letzter wurde der am 6.6.1939 im Alter von 77 Jahren an Altersschwäche gestorbene Salomon Landauer hier beigesetzt.
Ein Besuch auf dem Friedhof
Der Friedhof kann grundsätzlich nach Voranmeldung bei der Gemeinde Wallhausen oder beim Synagogenverein besucht werden, allerdings – wie jeder jüdische Friedhof – nicht am Schabbat und nicht an jüdischen Feiertagen. Im Gegensatz zum Synagogengebäude, das heute eine nicht mehr religiös genutzte Gedenkstätte ist, ist der Friedhof nach wie vor ein geweihter Ort, auf dem die Regeln der jüdischen Religion gelten. Dies bedeutet insbesondere, dass Männer auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung tragen.
Der jüdische Friedhof von Michelbach liegt etwas abseits an einem geteerten Feldweg zwischen Roßbürg und Weikersholz. Die Anfahrt ist bis vor das Friedhofstor möglich. Parken kann man auf dem Grasstreifen.
Der Friedhof ist vollständig ummauert. Wir betreten den Friedhof durch das Tor und gelangen direkt auf den ca. 30 Meter langen Mittelgang, der heute noch deutlich die beiden älteren Teile im Süden (links vom Mittelgang) vom neueren Teil im Norden (rechts) abgrenzt. Der Friedhof ist in Nord-Süd-Ausrichtung 100 Meter lang.
Im jüdischen Glauben ist die Grabstätte inklusive Grabmal dem Verstorbenen auf Ewigkeit gewidmet. Das Grab wird nie eingeebnet, und es wird an einer Stelle nur eine Person begraben. Sofern gegen diese Regeln nicht im Lauf der Geschichte verstoßen wurde, sind jüdische Friedhöfe heutzutage Orte, an denen wie kaum anderswo die Zeit stehengeblieben ist, also bis auf Natureinflüsse und Erhaltungsmaßnahmen der Eindruck heute ähnlich ist wie vor 100 oder 200 Jahren. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Belegung in Michelbach wurden die Grabstätten in der Regel chronologisch, Reihe für Reihe, ein Grab nach dem anderen vergeben.
Es wäre noch viel Platz gewesen…
So erklärt sich die große freie Fläche, die sich auffällig direkt rechts neben uns erstreckt. Das Grab am rechten Ende der ersten Reihe rechts ist das von Salomon Landauer, der als Letzter hier bestattet wurde. Hätte es keine nationalsozialistische Verfolgung gegeben, dann hätte sich diese Reihe in den 1940er Jahren weiter nach rechts befüllt und in darauffolgenden Jahrzehnten wären womöglich weitere Reihen belegt worden.
Einige der zuletzt belegten Gräber enthalten auch Hinweise zum Gedenken an Holocaust-Opfer aus Michelbach, die nicht hier bestattet werden konnten.
Die Grabsteine im neuen Teil sind größtenteils auf Deutsch beschriftet und sind oft aus moderneren Materialien, während in den älteren Teilen einfacher Sandstein vorherrscht und die Inschriften traditionell nur auf Hebräisch eingraviert wurden. Außerdem kann man allerlei eingravierte Symbole erkennen, etwa eine Levitenkanne für einen Angehörigen der Leviten, ein aufgeschlagenes Buch für eine gelehrte Person oder einen Vorsänger, florale Motive allgemeiner dekorativer Bedeutung oder auch einfach einen Stern für Bestattete mit dem Familiennamen Stern.
Kinder wurden häufig am Rand des Friedhofsgeländes bestattet. Eine Besonderheit im Michelbacher Friedhof sind drei Kindergräber aus den Jahren 1882 bis 1892, bei denen die Steine nicht aufrecht stehen, aber auch nicht umgefallen sind, sondern liegend gesetzt wurden. Sie befinden sich am östlichen Rand des alten Teils.
Eine weitere Besonderheit ist die Vielzahl von Grabsteinen aus den 1860er und 1870er Jahren mit einer charakteristischen Form, etwa wie ein Schlüsselloch. Man kann diese Form auch in kleinerer Zahl auf den Friedhöfen in Schopfloch und Crailsheim beobachten, aber in Michelbach scheint sie besonders beliebt gewesen zu sein.
Nach jüdischer Tradition legen Besucher kleine Steine auf den Grabsteinen ab. Es existieren vielerlei Erklärungen für diesen Brauch. Auch in Michelbach kommt dies immer wieder vor, wenn Nachkommen – heute meist in den USA lebend - auf den Spuren ihrer Vorfahren und Verwandten hierherkommen.