Geschichte
Die ehemalige jüdische Gemeinde in Michelbach an der Lücke
Der Ort und seine Zugehörigkeit im Wandel der Zeit
Juden mussten vor der sogenannten Judenemanzipation Anfang des 19. Jahrhunderts an den jeweiligen örtlichen Herrscher Abgaben für ihr Aufenthalts- und Handelsrecht leisten. Dies wurde durch „Schutzbriefe“ dokumentiert. Juden, die einen Schutzbrief hatten, nannte man „Schutzjuden“. Die Herrscher in Michelbach waren von 1423 bis 1601 die Herren von Berlichingen, dann die Herren von Crailsheim, ab 1631 die Grafen von Schwarzenberg. Im 18. Jahrhundert beanspruchte auch das Markgraftum Brandenburg-Ansbach einen Teil der Ortsherrschaft. Dieser ging Ende des 18. Jahrhunderts auf den preußischen Staat über.
Ab 1806 gehörte der Ort dann kurze Zeit zu Bayern, ab 1810 zu Württemberg. Das Oberamt war Gerabronn, ab 1938 war der Landkreis Crailsheim zuständig, der 1973 im Landkreis Schwäbisch Hall aufging. 1974 verlor Michelbach an der Lücke seine Eigenständigkeit als politische Gemeinde und gehört seither zusammen mit dem Nachbarort Hengstfeld zur Gemeinde Wallhausen.
Beginn der jüdischen Ansiedlung
Im 20 Kilometer entfernten Rothenburg ob der Tauber hatten Juden bereits seit dem 12. Jahrhundert gelebt. Sie wurden mehrfach verfolgt und 1520 wurden sie vollständig aus der Stadt vertrieben. Viele ließen sich in den umliegenden kleinen Ritterschaften Frankens nieder. Es ist zu vermuten, dass auf diese Weise sich in jener Zeit auch in Michelbach Juden ansiedelten. Von einem Mann namens Mosse ist 1556 die erste schriftliche Erwähnung eines Juden in Michelbach überliefert.
Um 1625 lebten in Michelbach 23 jüdische Familien, die Abgaben an Veit Christoph von Crailsheim leisteten. In der erhaltenen Rechnung ist auch dokumentiert, dass Michelbach zu dieser Zeit bereits einen eigenen Rabbiner hatte. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Dorf verwüstet. 1660 wurden wieder sieben Juden in Michelbach gezählt, 1685 waren es elf jüdische Familien, deren Vorstände namentlich überliefert sind. Im 18. Jahrhundert besaßen bis zu 20 jüdische Familienvorstände einen der begehrten Schutzbriefe der Grafen von Schwarzenberg. Der letzte Schutzbrief wurde 1802 ausgestellt.
Einige Familiennamen von Michelbacher Juden
Die Genealogie einiger in Michelbach ansässiger Familien kann weit zurückverfolgt werden. Die levitische Familie Elkan, aus der später mindestens zweimal der Gemeindevorsteher hervorging, geht zurück auf Honnele, genannt Elkan, der 1733 erstmals in Michelbach erwähnt wird. Albert (geb. 1880) und Klara (geb. 1878) Elkan, die letzten Michelbacher mit diesem Familiennamen, verzogen 1921 mit ihren beiden Töchtern nach Speyer.
Der 1737 geborene Elias Gundelfinger kam vermutlich aus Gundelfingen und wird 1755 in Michelbach als Schutzjude erwähnt. Drei seiner Söhne gründeten Familien in Michelbach, was dazu führte, dass in der Folgezeit „Gundelfinger“ der häufigste jüdische Familienname in Michelbach wurde. Weitere häufige Namen waren Grünsfelder, Landauer, Leininger, Löwenberger, Ries, Rosenthal und Stern, deren nachvollziehbare Ursprünge in Michelbach ebenfalls im frühen 18. Jahrhundert liegen.
Die jüdischen Einrichtungen am Ort: Synagoge, Frauenbad, Schulen und Friedhof
Jüdisches Leben konzentrierte sich lange Zeit um die Judengasse im Ortskern, die heute noch so heißt. Dort, auf einem jüdischen privaten Gartengrundstück, wurde 1757 nach eindrücklicher Bitte der Judengemeinde und nach Genehmigung durch die schwarzenbergische Zentralregierung in Krumau auch die Synagoge erbaut. Vorher hatten die Juden von Michelbach ihre gottesdienstlichen Handlungen in einem Privathaus verrichtet.
<Abbildung 1: Das Judengässle in Michelbach vor 1940. Rechts die Synagoge, oben das „Badhaus“. Zeichnung des Michelbacher Bürgers Karl Wiedmann (1923-1992). Stadtarchiv Crailsheim, Nachlass Otto Ströbel>
Es gab in früheren Zeiten in Michelbach sieben bis acht unbeheizte private rituelle Bäder, ein weiteres im Haus des Lehrers David Mainhardt, heutige Adresse: Reubacher Straße 8. 1868 wurde nach entsprechenden Anordnungen durch das Oberamt am Dorfseeweiher „am Ende der Judengasse“ – heutige Adresse: Judengasse 9 – ein neues gemeindeeigenes und beheizbares Frauenbad errichtet. Das Wasser kam von einer Quelle am „Leizweiler Weg“ über eine Wasserleitung und konnte mittels Holzfeuerung erwärmt werden. Das Häuslein wurde 1938 abgebrochen.
<Abbildung 2: Jüdisches „Badhaus“, Judengasse 9. Foto: Gerlinde Groß, Reubach>
1833 richtete die israelitische Gemeinde Michelbach in einem Anbau der Synagoge eine eigene Schule für ihre damals 24 Schulkinder ein. Vorher waren die Kinder in der christlichen Dorfschule und zeitweise in einem jüdischen Privathaus unterrichtet worden. Lehrer war zu dieser Zeit der in Michelbach geborene Vorsänger David Mainhardt. Um 1843 wurde auf sein Betreiben ein neues Schulgebäude mit Lehrerwohnung, Versammlungsraum und Lehrzimmer für den Unterricht der jüdischen Schüler an der nach Leitsweiler führenden Straße errichtet. Weitere Lehrer waren Salomon Harburger ab 1849, Isaak Levi Kallmann ab 1864, Eduard Zürndorfer ab 1888 und Isak Strauß von 1914 bis 1924. Das Gebäude mit der heutigen Adresse Leitsweiler Straße 15 wurde bis 1924 als Schule genutzt. Die letzten vier jüdischen Schulkinder besuchten von da ab die christliche Dorfschule. Das ehemalige jüdische Schulhaus fand im Folgenden Verwendung als Hitlerjugendheim, als Ernte-Kindergarten und von 1947 bis 1955 wiederum als Schulgebäude für die unteren Jahrgangsstufen der Michelbacher Volksschule.
<Abbildung 3: Das ehemalige jüdische Schulhaus in Michelbach, Leitsweiler Straße 15. Foto: Tassilo Hornsteiner, 2012>
Das königliche Konsistorium in Stuttgart ordnete 1828 die Bildung der israelitischen Kirchengemeinde Michelbach an. Dabei wurden Hengstfeld und Wiesenbach als Filialgemeinden angegliedert. In dieser Zusammenstellung wurde 1840 ein Grundstück für einen Friedhof auf Michelbacher Ortsgebiet erworben, etwa einen Kilometer nordwestlich außerhalb der Ortsbebauung.
Rabbiner in Michelbach
Mindestens seit 1625 gab es in Michelbach einen eigenen Rabbiner, allerdings mit Unterbrechungen. Der letzte Rabbiner von Michelbach war Salomon Katz aus Baiersdorf (nördlich von Erlangen). Er war geboren 1772, fing 1810 in Michelbach als Rabbiner an, um 1815 zog auch seine Frau aus Baiersdorf mit drei Kindern nach, und weitere vier Kinder wurden in Michelbach geboren. Im Jahr 1830 traten neue Bestimmungen in Kraft, wonach ein Rabbiner eine Universitätsausbildung haben musste oder zumindest eine Rabbinerprüfung ablegen musste. Salomon Katz erfüllte die Bedingungen nicht und wurde nach 20 Jahren Tätigkeit in Michelbach mit einer kleinen Rente in den Ruhestand geschickt. 1842 starb er und wurde auf dem Michelbacher Friedhof beerdigt. Er blieb somit der einzige Rabbiner auf diesem Friedhof. Seit 1832 unterstand die jüdische Gemeinde Michelbach dem Rabbinat Braunsbach.
<Abbildung 4: Grabstein des Rabbiners Salomon Katz im jüdischen Friedhof Michelbach. Foto: Roland Bauer, 1986>
Der Niedergang im späten 19. und im 20. Jahrhundert
Im Jahr 1865 erreichte die Anzahl der Michelbacher Juden den historischen Höchststand von 236 Personen, was 36% der Gesamtbevölkerung ausmachte. Etwa 50 jüdische Haushalte waren in etwa 40 Häusern untergebracht – bei 130 Häusern insgesamt im Ort. Von dieser Zeit an verringerte sich die Zahl sowohl absolut als auch relativ, weil Juden überdurchschnittlich häufig in die Städte und nach Übersee abwanderten. Allerdings blieb Michelbach im Verhältnis zu anderen Orten in der Umgebung im 19. Jahrhundert lange Zeit für jüdisches Leben und Wirtschaften noch relativ attraktiv. Michelbach war aufgrund seiner geringen Fläche und wegen des hohen Anteils jüdischer Bevölkerung weniger landwirtschaftlich und mehr durch Handel, Gewerbe und Handwerk geprägt. Die Juden handelten mit Vieh und Pferden, mit Grundstücken, ferner mit Stoffen, Fellen, Leder und Getreide, manche waren Metzger oder Bäcker. Um 1900 waren einige von ihnen wohlhabend. Die weiterhin starke Abwanderung vor allem junger Juden Anfang des 20. Jahrhunderts führte allerdings zu einer Überalterung und trug letzten Endes auch zum wirtschaftlichen Niedergang des gesamten Ortes bei.
Der Holocaust und das Ende
Die israelitische Gemeinde Michelbach wurde im Juli 1939 aufgelöst. Insgesamt 18 Michelbacher Juden wurden am 1.12.1941 von dort nach Riga oder am 22.8.1942 nach Theresienstadt deportiert.
<Abbildung 5: Gedenktafel in der Michelbacher Synagoge>
Zwei Michelbacher Juden überlebten den Holocaust. Thea Gundelfinger (geb. 1925 in Michelbach) kehrte 1945 nur für wenige Tage nach Michelbach zurück, ging dann zu ihrer Schwester nach England, und bald darauf zogen die beiden zusammen nach New York. Moritz Eichberg (geb. 1894 in Hengstfeld, 1904 nach Michelbach umgezogen) kehrte ebenfalls 1945 zurück, nahm seinen Beruf als Viehhändler wieder auf, war Gemeinderatsmitglied von 1945 bis 1948, heiratete 1947 eine Christin, mit der er einen 1946 geborenen Sohn hatte, und adoptierte deren 1939 geborenen Sohn aus ihrer ersten Ehe. 1951 zog die Familie nach Crailsheim, wo Moritz Eichberg 1968 starb. Der letzte Jude von Michelbach wurde als letzte Person auf dem jüdischen Friedhof in Crailsheim bestattet.
<Abbildung 6: Grabstein von Moritz Eichberg im jüdischen Friedhof Crailsheim. Foto: Tassilo Hornsteiner, 2013>
Die jüdische Gemeinde Michelbach war auch für andere Orte zuständig
Der Ort Michelbach hat heute mit dem gut erhaltenen Synagogengebäude und mit dem Friedhof zwei wesentliche Orte zu bieten, an denen Gedenken - gestützt auf materielle Reste des einstmals blühenden jüdischen Lebens - stattfinden kann. In den Nachbarorten gibt es kaum mehr solche Spuren. Trotzdem sollte, wenn über die jüdische Gemeinde Michelbach gesprochen wird, nicht übersehen werden, dass auch jüdische Bewohner mehrerer Orte in der Nachbarschaft Teil dieser Gemeinde waren.
Die Filialgemeinde Hengstfeld
Der Nachbarort Hengstfeld war hinsichtlich der Gesamteinwohnerzahl immer etwas größer als Michelbach an der Lücke, die Anzahl der jüdischen Einwohner von Hengstfeld war aber kleiner als die der Michelbacher Juden. Die Berührungspunkte waren, gemessen an der geographischen Nähe, eher gering: Beide jüdische Gemeinden bestatteten seit frühen Zeiten nach Schopfloch, ab 1840 in dem gemeinsam neu angelegten Friedhof auf Michelbacher Gemeindegebiet. Insgesamt 19 Jahre mussten die Hengstfelder zur Religionsausübung in die Michelbacher Synagoge, und zwar von 1840 bis 1850 auf staatliche Anordnung, von 1895 bis 1904, weil die Gemeinde sich allmählich auflöste. Es gab einige, aber doch auffallend wenige Heiratsbeziehungen zwischen den beiden Gemeinden.
Die Herrschaftsverhältnisse waren bis 1806 sehr unterschiedlich in den beiden Nachbardörfern. Von 1356 bis 1708 besaßen die Herren von Wollmershausen die Burg und Siedlung Hengstfeld. Parallel war von 1433 bis 1546 das Kloster Anhausen in Hengstfeld vertreten, danach das Markgraftum Ansbach. Die Erben der von Wollmershausen waren die Herren von Erffa und von Clengel. Von 1792 bis 1806 gehörte der Ort zu Preußen. Von da ab war die Zuständigkeit genauso wie für Michelbach.
Der Beginn der Ansiedlung war vermutlich wie in Michelbach in der Zeit nach 1520. Berle ist der erste Jude in Hengstfeld, der 1588 in Akten der Reichsstadt Rothenburg erwähnt wird.
Rufen Jandorf, der früheste Vertreter der dann über mehrere Generationen in Hengstfeld lebenden Familie Jandorf, kaufte 1764 ein Haus in Hengstfeld und hatte mit seiner aus Michelbach stammenden Frau Sara fünf Kinder. Um 1772 kaufte Isaak Koppel aus Cronheim (heute zu Gunzenhausen gehörig) ein halbes Haus in Hengstfeld. Er und seine Frau Jüdel aus Obernzenn hatten in der Folgezeit acht Kinder. Sie nahmen später den Familiennamen Feldenheimer an und bilden den Kern einer ebenfalls über mehrere Generationen weitverzweigten Hengstfelder Familie. Die beiden ursprünglichen Häuser dieser Familien standen auf den benachbarten Grundstücken mit den heutigen Adressen Hauptstraße 140 (Jandorf) und Hauptstraße 144 (Feldenheimer). Mehrere der anderen Judenhäuser befanden sich in der Mittelgasse.
Die jüdischen Kinder von Hengstfeld hatten bisher die christliche Dorfschule besucht. Etwa ab 1776 unterrichtete der Vorsänger und Schächter Hänlein Isaak (späterer Familienname: Eichberg) die zehn jüdischen Schulkinder in seinem Privathaus. Hänlein Isaak war aus Kleinerdlingen nach Hengstfeld gekommen und heiratete Behla, eine Tochter von Rufen Jandorf und Sara.
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von der schrittweisen rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Bürger und einer rasanten Zunahme der jüdischen Bevölkerung in Hengstfeld. Damit ging einher die Einrichtung entsprechender Infrastruktur: Eigene Synagoge (1811), Beteiligung am neu anzulegenden Friedhof in Michelbach (1840), eigenes Schulhaus mit Mikwe (1843).
Auch Hengstfeld hatte eine Synagoge und eine Mikwe
Der ältere Sohn des Rufen Jandorf war Lippmann Jandorf (1764-1844), „Handelsjud“, Metzger und Gemeindevorsteher. In seinem Haus fanden um 1800 die Versammlungen der jüdischen Gemeinde statt. Auf die Dauer wurde das aber allen lästig, sowohl der Familie als auch den Gemeindemitgliedern. Im Dezember 1804 beantragte Lippmann Jandorf beim preußischen Kreisdirektorium in Crailsheim den Bau einer Synagoge für Hengstfeld. Er selbst stellte dafür kostenlos den östlichen Teil seines Grundstücks zur Verfügung, in etwa das heutige Grundstück Hauptstraße 142. Zehn ansässige jüdische Familien beteiligten sich an den Kosten des Baus. Der Antrag wurde nach eingehender Prüfung mit leichten Änderungen genehmigt. Am 8.2.1811 konnte die Hengstfelder Synagoge feierlich eröffnet werden. Die Entwurfsskizzen von 1805 sind die einzigen erhaltenen visuellen Zeugnisse dieses jüdischen Gotteshauses.
<Abbildung 7 und 8: Entwurf für die Synagoge in Hengstfeld, 1805. Staatsarchiv Nürnberg>
Bis dato hatten die Hengstfelder Juden ihr religiöses Leben relativ eigenständig verwalten und gestalten können. Dies änderte sich abrupt, als das Oberamt Gerabronn am 12.3.1834 feststellte, Hengstfeld und Wiesenbach seien keine eigenständigen Gemeinden, seien dies noch nie gewesen, sondern der jüdischen Gemeinde Michelbach zugeordnet und untergeordnet. Infolgedessen sei die Hengstfelder Synagoge - nach nur 23 Jahren Nutzung - zu schließen. Die Hengstfelder Juden waren davon sehr verärgert und bemühten sich nach Kräften, diesen Erlass zu umgehen. Sie mussten sich dazu bereiterklären, einen eigenen staatlich geprüften Vorsänger und Schullehrer für Hengstfeld zu bezahlen und zusätzlich die anteiligen Kosten für Michelbach mitzutragen. Unter diesen Umständen wurde der Filialgottesdienst in Hengstfeld genehmigt. Dies währte allerdings nur drei Jahre, weil die Kosten untragbar hoch wurden. Ab August 1838 gingen die Judenkinder wieder in die christliche Dorfschule. Da kein Vorsänger mehr vor Ort war, verordnete die Israelitische Oberkirchenbehörde in Stuttgart im Januar 1840 tatsächlich die Schließung der Hengstfelder Synagoge. Die nächsten zehn Jahre mussten die Hengstfelder zur Gottesdienstausübung nach Michelbach gehen.
1843 wurde ein Schulhaus mit Lehrerzimmer, Gemeindezimmer und rituellem Bad erbaut und 1844 fertiggestellt. Das Oberamt Gerabronn stellte dabei klar, dass dieses Gebäude nicht für kirchliche Zwecke als Ersatz für die geschlossene Synagoge verwendet werden dürfe. Die Differenzen zwischen der Gemeinde und den oberen Behörden führten letztlich dazu, dass auch die Schulfunktion des Gebäudes nie genutzt wurde, immerhin aber – noch mehrere Jahrzehnte lang - die Mikwe. Das Gebäude mit der Adresse Kurze Straße 3 ist als privates Wohnhaus erhalten.
<Abbildung 9: Entwurf für das Schul- und Mikwengebäude in Hengstfeld.
Grund Prospect und Profil Zeichnung! Über ein Neu zu erbauendes Schul und Gemeinde Hauß für die Israeliten Gemeinde zu Hengstfeld, angehörig, zur Elementar-Schule mit 32‘ Länge und 26‘ Breite. Landeskirchliches Archiv Stuttgart. >
<Abbildung 10: Ehemaliges Mikwengebäude in Hengstfeld, Kurze Straße 3. Foto: Tassilo Hornsteiner, 2013>
Um 1850 kam es durch die Hartnäckigkeit der Hengstfelder in Kombination mit einer lockereren Gangart der Oberkirchenbehörde dazu, dass auch ungeprüfte Vorsänger zugelassen wurden und die Hengstfelder Synagoge wieder geöffnet und benutzt werden durfte.
Der Niedergang in Hengstfeld geschah deutlich früher als in Michelbach
Im Jahr 1846 hatte die Anzahl der Hengstfelder Juden den historischen Höchststand von 120 Personen erreicht, was 15% der Gesamtbevölkerung ausmachte. Um diese Zeit setzte, bedingt durch Arbeitslosigkeit, Armut und fehlender Zukunftsperspektive, die große Auswanderungswelle ein, welche insbesondere die jüdischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Hengstfeld in den folgenden Jahrzehnten in Scharen nach Amerika zog. Während viele andere Landgemeinden trotz der Abwanderung noch eine gewisse Substanz erhalten konnten, reduzierte sich das jüdische Leben in Hengstfeld gegen Ende des 19. Jahrhunderts radikal.
Anfang 1900 lebten nur noch drei jüdische Familien in Hengstfeld, bestehend aus 20 Personen. Die Familie des letzten Vorsängers und Religionslehrers, Mendel Cohn mit seiner Frau Jeanette, geb. Wassermann, und drei Kindern zog 1900 nach Crailsheim. Der Metzger Seligmann Alexander, seine Frau Karoline, geb. Bär, und sieben Kinder zogen 1901 nach Michelbach, kauften die dortige Metzgerei und führten diese weiter (Adresse: Reubacher Straße 7, später Metzgerei Schenkel, heute: ’s Michelbacher Lädle). Als letztes hielten sich der Viehhändler Isaak Eichberg und seine Frau Rischka, geb. Künstler, mit fünf Kindern. Am 8.1.1904 wurde noch ihr Sohn Wilhelm geboren - die letzte jüdische Geburt in Hengstfeld - dann im Herbst 1904 zog auch diese Familie nach Michelbach um. Damit war jüdisches Leben in Hengstfeld Geschichte geworden. Sowohl Seligmann Alexander als auch Isaak Eichberg waren Ururenkel von Rufen Jandorf und Sara.
Die Synagoge war bereits 1895 geschlossen worden. Das Inventar wurde 1902 verkauft, das Gebäude 1905 abgebrochen.
Die Filialgemeinde Wiesenbach
Wiesenbach liegt neun Kilometer nordwestlich von Michelbach. Seit 1399 wurde der Ort von den Burggrafen von Nürnberg beherrscht, was im 15. Jahrhundert in das Markgraftum Brandenburg-Ansbach überging. Wiesenbach wurde der Sitz des Kastenamts Bemberg. Wie Michelbach gehörte Wiesenbach ab 1806 zu Bayern, ab 1810 zu Württemberg. Im Zuge der Gebietsreform kam Wiesenbach 1972 zur Gemeinde Blaufelden.
Auch in Wiesenbach haben sich die ersten Juden vermutlich nach 1520 angesiedelt. Anhand einer Ortschronik ist 1603 erstmals nachgewiesen, dass drei jüdische Familien am Ort lebten. Gabriel ist 1626 der älteste, in einer Amtsrechnung namentlich erwähnte Jude in Wiesenbach. 1629 lebten sieben jüdische Familien hier. Im weiteren Verlauf des 17. und im 18. Jahrhundert änderte sich die Anzahl kaum. Es gab einige Zuzüge aus Hengstfeld und Übersiedlungen nach und von Crailsheim.
Die jüdische Gemeinde Wiesenbach richtete 1790 auf dem heutigen Grundstück Engelhardshauser Straße 42 (damals „Judengasse“) einen Betsaal oder Synagoge ein. Erweiterungen und Umbauten erfolgten 1824 und 1852. Ein kleines Schulgebäude mit Lehrerwohnung wurde nur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als solches – und nur für den Religionsunterricht - genutzt. Dieses ehemalige Schulhaus, das an der Stelle der heutigen Adresse Hirtengasse 14 stand, wurde um 1940 abgebrochen. Ein Frauenbad befand sich im Hofraum der Synagoge, nach anderer Quelle war dort ein jüdisches Schlachthaus, das Frauenbad aber im Untergeschoss des Schulhauses.
<Abbildung 11: Die Synagoge in Wiesenbach, 1930. Aus: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in Württemberg, Stuttgart 1932>
Nach dem 1834 angeordneten Anschluss der jüdischen Gemeinden Hengstfeld und Wiesenbach an Michelbach sollte die Wiesenbacher Synagoge zunächst geschlossen werden, durfte aber nach entschiedenem Protest weiterhin als Filialgotteshaus genutzt werden.
Eine herausragende Stellung im Gemeindeleben am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Aaron Bär Neumann, Ellenwarenhändler, Vorsänger und Schächter. Er wird in den Quellen auch immer wieder als „Anwalt der hiesigen Israelitischen Gemeinde“ bezeichnet. Seine Vorfahren waren seit mindestens zwei Generationen, nachweisbar seit 1746, in Wiesenbach ansässig. Aaron Bär Neumann hatte mit seiner Frau Kaja 15 Kinder. Manche seiner Nachkommen siedelten im 19. oder 20. Jahrhundert um nach Michelbach, Crailsheim, Hohebach, Schrozberg oder Stuttgart.
Stern und Strauß sind die Namen weiterer Familien, deren Vorfahren über mehrere Generationen bis ins 18. Jahrhundert in Wiesenbach zurückverfolgt werden können und noch bis ins 20. Jahrhundert dort vertreten waren.
Die höchste Zahl jüdischer Einwohner in Wiesenbach wurde 1858 mit 53 Personen gemessen. Um 1850 setzte auch in Wiesenbach der Trend zur Auswanderung ein, zumeist in die USA. Zusammen mit den Wegzügen in Städte wie Crailsheim, Mergentheim und Gerabronn führte dies zu einer kontinuierlichen Verkleinerung der jüdischen Einwohnerschaft. Die letzten jüdischen Geburten in Wiesenbach waren 1910 und 1916 Manfred und Amalie Neumann, Ururenkel der oben erwähnten Aaron Bär und Kaja geb. Neumann. Manfred und Amalie verzogen 1927 nach dem Tod ihres Vaters mit der Mutter zu deren Herkunftsfamilie nach Michelbach. Wie die „Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs“ mitteilte, wurde die „Israelitische Religionsgemeinschaft Wiesenbach, Oberamt Gerabronn“ 1928 aufgelöst.
Im Jahr 1933 lebte nur noch eine jüdische Familie, die Familie von Maier Max Stern, mit vier Personen in Wiesenbach, die alle bis 1940 den Ort verlassen haben. Sieben Personen, die in Wiesenbach geboren wurden oder dort gelebt haben, sind dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Die Synagoge war 1928 geschlossen worden und wurde später abgerissen. Heute ist das ehemalige Synagogengrundstück ein Garten gegenüber dem früheren "Jägerstüble". 1986 wurde eine kurze Steinsäule hier aufgestellt, die vermutlich vom Almemor der Synagoge stammt. Eine Hinweistafel ist angebracht. Die Gedenksäule steht zwischen den Gebäuden Engelhardshauser Straße 15 und 17 an der Außenwand eines Nebengebäudes.
Wallhausen
Während Michelbach und Hengstfeld mehr als 300 Jahre lang ganz wesentlich von jüdischen Menschen und ihrer Kultur geprägt waren, trifft dies auf den Hauptort der heutigen politischen Gemeinde nicht zu… Fast nicht! Juristische Befindlichkeiten des 19. Jahrhunderts und das persönliche Schicksal eines Hengstfelder Brautpaares sorgten dafür, dass Wallhausen 35 Jahre lang bis zu acht jüdische Einwohner hatte:
Moses Hayum Jandorf, geboren 1835 in Hengstfeld, war noch keine 16 Jahre alt, als er wie so viele andere 1851 den Weg nach Amerika, nach Allegany, Maryland, auf sich nahm und dafür auf sein Staats- und Gemeindebürgerrecht verzichtete. Seine Kusine Adelheid Jandorf war zu der Zeit sechs Jahre alt und folgte ihm später nach. 1864 kehrten sie aber beide nach Hengstfeld zurück. Moses Hayum wollte das Anwesen seines hochbetagten Vaters übernehmen und mit der bereits schwangeren Adelheid eine Familie gründen. Der Gemeinderat lehnte sein Ersuchen um Wiedereintritt in das Bürgerrecht zweimal ab. Das Paar heiratete trotzdem und ließ sich 1865 in Wallhausen nieder. Sie hatten sechs Kinder, wobei der erste Sohn noch in Hengstfeld geboren wurde, die anderen fünf Kinder in Wallhausen. Die Familie wohnte im Anwesen mit der heutigen Adresse Blaufelder Straße 4 und hatte dort ein Geschäft für Spezerei und Ellenwaren. Bis 1900 wanderten sie allerdings nacheinander (wieder) nach Amerika aus.
<Abbildung 12: Wallhausen, Blaufelder Straße 4 im Jahr 1931. Fotosammlung, Gemeinde Wallhausen>
<Abbildung 13: Wallhausen, Blaufelder Straße 4. Foto: Lothar Schwandt, 2021>
Blaufelden
In Blaufelden lebte 22 Jahre lang eine jüdische Drei-Generationen-Familie, bestehend aus sechs Personen. Im Mai 1877 war der Wiesenbacher Metzger und Handelsmann Isaak Stern mit seiner Frau Jette, seiner Pflegemutter Gietel Stern und der erstgeborenen Tochter Sara nach Blaufelden gezogen. Kurz darauf wurden in Blaufelden noch zwei Söhne geboren. Diese Konstellation löste sich bis 1899 wieder auf: Sara heiratete 1893 einen Wiesenbacher und zog nach Crailsheim, ein Sohn wanderte nach Amerika aus, der andere heiratete nach Wiesenbach. 1898 starb die Großmutter, und im Juli 1899 zogen Isaak und Jette zu ihrer Tochter nach Crailsheim.
Kirchberg an der Jagst
Kirchberg wurde nur vereinzelt von jüdischen Familien bewohnt. Es bestand zu keiner Zeit eine eigene jüdische Gemeinde. Bereits in einer früheren Phase vom 17. Jahrhundert bis Anfang des 18. Jahrhunderts lebten von den Herren von Crailsheim aufgenommene Juden an der Burg Hornberg.
Der Michelbacher Salomon Gundelfinger zog im Januar 1846 mit seiner Frau Julie und drei in Michelbach geborenen Kindern nach Kirchberg, wo er und zuvor bereits sein Vater seit ca. 1800 ein gutgehendes Ellenwarengeschäft führten. Die Familie blieb dabei sicher der Synagogengemeinde Michelbach zugehörig. 1846 wurde ein weiterer Sohn in Kirchberg geboren. Die erstgeborene Tochter Sophie starb 1858 als Kirchbergerin im Alter von 16 Jahren und wurde auf dem Michelbacher Friedhof beigesetzt. Zu unbekannten Zeitpunkten verließen die Familienmitglieder Kirchberg wieder und lebten dann in Stuttgart, Crailsheim und Frankfurt.
Schrozberg
Schrozberg wurde von 1841 bis 1910 von einigen jüdischen Familien bewohnt. 1875 erreichte die Zahl der jüdischen Einwohner das Maximum von 23 Personen. Auch dort bestand nie eine eigene jüdische Gemeinde. Anfangs war die jüdische Gemeinde Niederstetten für die Schrozberger Juden zuständig, später dann das 18 Kilometer entfernte Michelbach.
Den Anfang machte im Dezember 1841 die Familie von Löw und Hanna Neumann aus Wiesenbach mit drei in Wiesenbach geborenen Kindern, die nach Schrozberg übersiedelte. Die älteste Tochter Magdalena war Ende des 19. Jahrhunderts eine der letzten Schrozberger Juden und zog im Alter wieder nach Wiesenbach zurück.
Der bedeutendste Schrozberger Jude war der Distriktsarzt Dr. Nehemias Rescher. Geboren 1828 in Hochberg, studierte er Medizin in Tübingen und in Würzburg und zog mit seiner in Sontheim geborenen Frau 1852 nach Schrozberg. 17 Jahre und sieben Geburten später starb seine Frau, worauf er ein zweites Mal heiratete. Aus der zweiten Ehe gingen acht Kinder hervor. Der außerordentlich anerkannte und beliebte Arzt starb 1885 nach über 30 Jahren Tätigkeit in Schrozberg und ist auf dem jüdischen Friedhof von Michelbach beigesetzt.
<Abbildung 14: Nehemias Rescher (1828-1885), Distriktsarzt in Schrozberg.
Quelle: https://www.geni.com/people/Nehemias-Rescher/6000000000676537888>